Islamische Theologie


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Neues Kooperationsprojekt des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück und des Museums für Islamische Kunst in Berlin zur Stärkung der Transkulturellen Bildung in Moscheegemeinden

Roman Singendonk* 

Projektleitung: Prof. Dr. Bülent Ucar, Prof. Dr. Stefan Weber 

Gemeinsam mit Moscheegemeinden und islamischen Verbänden entwickeln, erproben und verteilen die Kooperationspartner im Laufe von drei Jahren innovatives Unterrichtsmaterial, welches die Gemeinden dabei unterstützt, ihr pädagogisches Angebot um den Bereich Kunst und Kultur zu erweitern und eine eigenständige Jugendarbeit aufzubauen.

Ästhetik spielt im Islam und in den Kulturen islamisch geprägter Länder bekanntlich eine hervorgehobene Rolle. Diese Tatsache lässt sich sowohl in der ausgefeilten Ornamentik im Dekor als auch in der bis zur Perfektion ausgearbeiteten Schriftkunst (Kalligrafie) erkennen. Sie zeigt sich vor allem aber daran, dass die sprachliche Schönheit des koranischen Textes sogar als Gottesbeweis (al-iʿǧāz) gilt.[1] Diesen Umstand hatten die Initiatoren jedoch nicht vorrangig im Sinn, als sie beschlossen im Rahmen der Imamweiterbildung am Institut für Islamische Theologie (IIT) der Universität Osnabrück eine Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin einzugehen. Und dennoch unterstreicht diese Gegebenheit, wie naheliegend die neue Zusammenarbeit ist.  

Die Kooperationspartner

Bereits seit 2010 führt das IIT das erste bundesweite universitäre Weiterbildungsprogramm für Imame sowie religionspädagogisches und seelsorgerisches Betreuungspersonal aus Moscheegemeinden durch. Gemeinsam mit anderen Instituten der Universität Osnabrück – darunter diejenigen für Katholische und Evangelische Theologie – werden in der Weiterbildung Lehrveranstaltungen in den Themenfeldern Prävention von religiösem Extremismus, praxisbezogene Kompetenzen in der Jugendarbeit, Geschichte, Sozialstruktur und politisches System Deutschlands, gesellschaftliche und religiöse Pluralität, intra- und interreligiöse Kompetenz sowie die kontextbezogene Vertiefung von Deutschkenntnissen angeboten. Die Sensibilisierung der Imame und anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Moscheegemeinden in Bezug auf die Lebensumstände von in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen und die sie betreffenden gesellschaftlichen Gefahren, wie die der salafistischen Rekrutierung, ist ebenfalls im Weiterbildungsprogramm enthalten. Die Teilnehmenden sollen demokratiefeindliche Strömungen und Weltanschauungen wahrnehmen und reflektieren können und zugleich auf die Wichtigkeit des intrareligiösen Dialogs aufmerksam gemacht werden. Auch interkulturelle Kompetenzen werden gefördert, um den interreligiösen Dialog mit anderen Glaubensgemeinden zu beginnen, weiterzuführen und gemeinsame Projekte zu initiieren. Gemeinsam mit den Teilnehmenden werden die Friedenspotentiale der eigenen und anderen Religionen sowie von Weltanschauungen identifiziert und für das Zusammenleben und die aktive Begegnung in Niedersachsen und ganz Deutschland auch praktisch ausprobiert. Das Institut für islamische Theologie an der Universität Osnabrück möchte durch dieses Programm Imame und religionspädagogisches wie seelsorgerisches Betreuungspersonal in Moscheegemeinden auf eine erfolgreiche Jugendarbeit wie auch eine aktive Präventionsarbeit vorbereiten. Das Programm erreichte im ersten Durchlauf mehr als 100 Imame und Seelsorgerinnen aus ganz Deutschland, wobei die Teilnehmenden aus Niedersachsen den größten Anteil ausmachten. Im Jahre 2011 war das Programm Preisträger im Wettbewerb »365 Orte im Land der Ideen« der Bundesregierung und des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Ab dem Wintersemester 2015/2016 wurde die Weiterbildung für Imame und religionspädagogisches und seelsorgerisches Betreuungspersonal in Moscheegemeinden inhaltlich grundlegend erweitert. Neu hinzu kam die Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin, die durch Einbeziehung kultureller wie historischer Narrative eine wesentliche Bereicherung darstellt und die Teilnehmenden aus einer völlig neuen Perspektive – der Museumspädagogik – heraus anspricht. 

Das Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin befindet sich im Pergamonmuseum im Zentrum Berlins auf der Museumsinsel, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Es stellt die Kunst islamisch geprägter Länder im Kontext der für Europa so prägenden Spätantike aus und verortet die islamischen Kulturen damit bereits strukturell und institutionell ganz selbstverständlich in einer Reihe mit den byzantinischen, sassanidischen, jüdischen und christlichen Kulturen des Nahen und Mittleren Ostens. Dass auch der Islam und die mit ihm verbundenen Kulturen wesentlicher Bestandteil unseres spätantiken Erbes sind, wird in den Debatten, ob und, wenn ja, seit wann der Islam zu Deutschland gehört, nicht beachtet. Das Museum für Islamische Kunst verzeichnet jährlich ca. 900.000 Besucher und zählt zu den ältesten und größten Sammlungen von Kunst aus islamisch geprägten Ländern weltweit. Es ist vor allem für seine Objekte aus der Frühzeit des Islams bekannt und widmet sich neben dem Sammeln und Forschen spätestens seit 2011 verstärkt auch der Bildungsarbeit und dem Museums-Outreach. Mit seinen Angeboten für Lehrkräfte an Grundschulen[2] und Geflüchtete[3] erprobt es neue pädagogische Ansätze und schafft Zugänge zum Museum für Personengruppen, die bislang zu wenig am kulturellen Leben teilnehmen konnten. Wesentlicher Bestandteil dieser Vermittlungsstrategie ist das Kooperationsprojekt mit dem IIT. Hier wird die Zielgruppe des Moscheepersonals erstmals grundlegend und intensiv in alle Schritte des Entwicklungsprozesses des Unterrichtsmaterials eingebunden. Damit wird das partizipative Arbeiten in allen Projektphasen zur grundlegenden Vorgehensweise. 

Neuartige Kooperation zwischen Universität, Museum und Moscheen

Die enge Kooperation zwischen einem universitären Institut, einem staatlichen Museum und Moscheegemeinden ist innovativ. Doch worum geht es bei dieser Zusammenarbeit genau? Im Gegensatz zu bereits etablierten Forschungskooperationen zwischen Museen und Universitäten handelt es sich in diesem Fall um eine Bildungsinitiative. Im Rahmen der beschriebenen Weiterbildung vermitteln Referentinnen und Referenten am IIT nun neuerdings auch Inhalte aus der Museumspädagogik und der Kunstgeschichte. Die Teilnehmenden tragen diese Inhalte dann in ihre Heimatgemeinden und erweitern auf diese Weise das dortige Bildungsangebot sowohl inhaltlich als auch methodisch. Die Teilnehmenden erhalten in der Weiterbildung pädagogische Anregungen und kunsthistorische Informationen, die ihnen bei der praktischen Arbeit in den Gemeinden von Nutzen sind. Doch Wissensvermittlung ist in dieser Kooperation kein einseitiger, sondern ein reziproker Vorgang. Während die Referentinnen und Referenten inhaltliche und methodische Impulse geben, dokumentieren professionelle Evaluatorinnen die Interessen und Bedarfe der Teilnehmenden. Die so gewonnenen Erkenntnisse bilden den wesentlichen Bestandteil für die Entwicklung des originellen Unterrichtsmaterials und der dazu passenden pädagogischen Methoden. In der Konzeption wurde Wert darauf gelegt, dass sich Museumspädagogik und Kunstgeschichte strukturell gut in das bestehende Angebot der Weiterbildung einfügen. Sie knüpfen daher an die vorhandenen Schwerpunkte Jugendarbeit und Extremismusprävention an. In Bezug auf die Jugendarbeit ergänzt das Kooperationsprojekt die theoretischen und rechtlichen Inhalte mit praktischen Übungen, die inspiriert sind von der transkulturellen Jugendarbeit in internationalen Begegnungen und von der Antidiskriminierungspädagogik. Dadurch trainieren die Teilnehmenden unmittelbar ihre Fähigkeiten zum Anleiten von Gruppenübungen und erweitern ihr Repertoire an pädagogischen Übungen.

Die Jugendarbeit ist elementar für die sozialen Aktivitäten – nicht nur, aber auch – der muslimischen Gemeinden. In der Jugendarbeit dann Kunst und Kultur zu thematisieren, zeugt von deren großem Potenzial für die Lösung aktueller sozioökonomischer Problemstellungen. Und hier entfaltet sich dann auch die volle Wirkungskraft der Transkulturellen Bildung. Diese vermittelt erstens die Kenntnis von den historischen Künsten und damit eines Fachs, das in der formellen schulischen Bildung ins Hintertreffen zu geraten droht. Sie leitet die Zielgruppe zweitens zu selbstständiger kreativer Betätigung an und spricht somit eine Facette menschlichen Handelns an, die wichtig für die persönliche Entwicklung ist. Wer künstlerisch kreativ ist, bekommt einen anderen Zugang zur Welt und erlangt auch neue Erkenntnisse über sich selbst. Transkulturelle Bildung eignet sich drittens eben auch für die Verhandlung von potenziellen oder tatsächlichen gesellschaftlichen Problemstellungen. Kunst und Kultur zum Ansatz zu machen, bedeutet eben gerade, nicht anzunehmen, dass Konflikte, die innerhalb einer Gesellschaft zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen auftreten, kulturelle Ursachen haben. Es bedeutet im Gegenteil, dass Kunst und Kultur viele Möglichkeiten bieten, um einer inzwischen sehr emotionalisierten und ideologisierten Gemengelage neue lösungsorientierte Impulse zu geben. Vielen öffentlichen Debatten, aber auch vielen zwischenmenschlichen Dialogen im Alltag, täten eine Differenzierung und eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Komplexität kultureller Wanderungsbewegungen und Transformationsprozesse gut.

Transkulturelle Bildung ermöglicht außerdem Präventionsarbeit auf der frühesten denkbaren Ebene: Wir nehmen begründet an, dass Jugendliche, die sich mit den Abstufungen, Zwischenräumen und der Heterogenität von Kunst und Kultur befassen, in gewisser Weise immun werden gegen die Argumentationen und Anziehungskräfte von extremistischen Ideologien. Im Mindesten sind sie dafür weniger anfällig. Das Erkennen der intensiven und jahrhundertealten Verflechtungen von Kulturen aus Europa, den islamisch geprägten Ländern und auch Indien und China entlarvt zahlreiche Selbst- und Fremdbilder, die heute den medialen und gesellschaftlichen Diskurs dominieren und die auf Abgrenzung und Überlegenheitsdenken basieren. Die Ergänzung der Weiterbildung am IIT durch Transkulturelle Bildung bietet sich an, da große Schnittmengen mit und zahlreiche Berührungspunkte zu den bisherigen Schwerpunkten Extremismusprävention und Jugendarbeit bestehen. Neuartig ist hier aber auch die wertschätzende und anerkennende Haltung staatlicher Einrichtungen gegenüber Moscheegemeinden und islamischen Verbänden. Jenseits der aktuellen Debatte über die Eignung einzelner Verbände als Kooperationspartner ist die frühzeitige und grundlegende Einbindung islamischer Gemeinden und Interessenvertretungen wichtig und richtig. Denn ein Gemeinschaftsgefühl kann überall dort gut gedeihen, wo sich Muslime ernst genommen fühlen und institutionelle Hierarchien abgebaut werden. Allzu oft wurden Kooperationen mit islamischen Organisationen bislang nur eingegangen, um den Anschein der Teilhabe zu wahren. Ernst gemeinte Kooperation erfordert aber von den staatlichen Institutionen auf einen Teil ihrer Deutungshoheit zu verzichten: ein Prozess, der für diese Institutionen ungewohnt ist und mitunter unbequem sein kann.  

Partizipativer Arbeitsprozess

Die Kooperation ist zunächst auf drei Jahre angelegt und soll eine nachhaltige Zusammenarbeit nach sich ziehen. Unmittelbare Ziele sind neben der direkten Stärkung der pädagogischen Gemeindearbeit auch die dauerhafte Verankerung transkultureller Bildung im Curriculum der Imamweiterbildung sowie die Entwicklung von pädagogischen Methoden und Unterrichtsmaterialien speziell für den Sozialraum Moschee. Beides zusammengenommen leistet einen wesentlichen Beitrag, um transkulturelle Bildung in der Bildungsarbeit von Moscheegemeinden zu etablieren. Das entstehende Material wird Gemeinden im gesamten Land in die Lage versetzen, ihr Angebot mit transkultureller Bildung zu ergänzen. Um möglichst vielen Gemeinden den Zugang zu gewähren, soll das Material kostenfrei bezogen werden können und online abrufbar sein. Der Projektansatz ist strikt partizipatorisch und bedarfsorientiert. Zwar bringt auch das Projektteam – bestehend aus den Fachbereichen Kunstgeschichte, Religionspädagogik, Mediengestaltung, Museums-Outreach, Evaluation und Museumspädagogik – Ideen und Vorstellungen in die Projektarbeit ein. Die Entwicklung von Inhalten und Methoden sowie die Gestaltung der Materialien sind aber wesentlich von der Mitarbeit und den Bedarfen der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus den Gemeinden und von den jugendlichen Musliminnen und Muslimen selbst abhängig. Um diesen Bedarf systematisch zu erheben und um die Meinungen der Praktikerinnen und Praktiker zu erfassen, arbeiten wir an den Standorten Osnabrück und Berlin eng mit festen Gruppen zusammen, die sich vor allem aus Moscheegemeinden und islamischen Verbänden, in geringerem Maße aber auch aus Jugendorganisationen zusammensetzen. Dass Moscheegemeinden ein wichtiger und konstruktiver Partner sind, haben sie unter anderem bereits in Kooperationsprojekten mit Schulen und Eltern bewiesen.[4]

Nach dialogischem Prinzip entstehen so im Laufe des Prozesses pädagogische Methoden und Unterrichtsmaterialien, die möglichst große Akzeptanz in den Gemeinden und unter den Jugendlichen finden und daher auch häufig eingesetzt werden. Nachdem sie in Zusammenarbeit mit den Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in Osnabrück und Berlin entwickelt worden sind, werden sie sukzessive an weitere Gemeinden verteilt und ihr testweiser Einsatz evaluiert. Auf Grundlage der erhobenen Daten und der gesammelten Erfahrungen werden die Materialien dann überarbeitet, optimiert und anschließend in noch größerem Stil verteilt. Zum Abschluss des Projektes stehen die kontinuierlich verbesserten Materialien dann für die Jugendarbeit der Moscheegemeinden im gesamten Bundesgebiet zur Verfügung.  

Die Kunstwerke, ihr Entstehungskontext und das Narrativ des Projektes

Die Sammlung des Museums für Islamische Kunst eignet sich hervorragend, um gesamtgesellschaftlich relevante Themen zu behandeln. Sie alle verkörpern Zeiten, Orte und Personen, die von interkulturellem Austausch geprägt sind. Heute für manche unvorstellbar, waren die islamisch geprägten Länder über Jahrhunderte eine Region, in der verschiedenste Kulturen, Ethnien, Religionen und Konfessionen für die meiste Zeit friedlich und tolerant neben- oder miteinander lebten. Die Toleranz den Menschen gegenüber, die sich zu anderen konkurrierenden Wertsystemen bekannten, war ungleich größer als in Europa, wo sich die Völker und Konfessionen in ihrem Streben nach Dominanz drangsalierten und ein Drang zur Eindeutigkeit vorherrschte. Thomas Bauer bezeichnet diese Fähigkeit, die mit dem Eintreffen der kolonisierenden Gesellschaften immer weiter abnahm, mit dem Begriff „Ambiguitätstoleranz“[5]. Unbestritten ist, dass es sowohl in Europa als auch in islamisch geprägten Ländern gegenteilige Beispiele gibt. Auch sind 1400 Jahre islamische Geschichte viel zu lang, um sie in wenigen Sätzen zu verallgemeinern. Ebenso wenig ist aber von der Hand zu weisen, dass sich die Verhältnisse in Europa und den islamisch geprägten Ländern in Bezug auf kollektive und individuelle Freiheiten seit der Moderne umgekehrt haben. Darüber hinaus lässt sich die starke transregionale und transkulturelle Vernetzung innerhalb der islamisch geprägten Länder und auch zwischen diesen und Europa mit der Sammlung des Museums gut belegen. Der transkulturelle Austausch manifestiert sich in allen Objekten des Museums für Islamische Kunst, denn anhand jedes einzelnen von ihnen lässt sich zeigen, wie Fertigungstechniken, Materialien, Stile, Geschmäcker oder Güter selbst gewandert sind – manchmal in globalem Ausmaß. Es gibt im Museum für Islamische Kunst kein Objekt, das einer monolithischen, homogenen, nationalen Kultur entsprungen ist. Sie alle sind erst durch den Kontakt und den Austausch zwischen verschiedenen Kulturen möglich geworden und gewinnen aus diesem Umstand einen besonderen Reiz. Zudem erhalten sie dadurch eine enorme Aussagekraft für gegenwärtige gesellschaftliche Fragen. Wenn heute der Ruf nach der Bewahrung einheitlicher nationaler Identität und Kultur anschwillt, dann sind es jene Objekte, die uns wortlos, aber doch sehr beredt klarmachen, dass es so etwas gar nicht gibt. Jede Kultur ist erst durch den Austausch und die gegenseitige Befruchtung zu dem geworden, was sie ist.  

Anerkennungspädagogik

Die Kunstgeschichte lehrt uns also mit etwas Abstand und aus einer anderen Perspektive zugleich auf die zeitgenössische multireligiöse und multikulturelle Gesellschaft und auf uns selbst zu schauen. Sie führt auch vor, dass vieles im aktuellen Diskurs von unbegründeten Ängsten und konstruierten Vorstellungen über kulturelle Reinheit herrührt. Und sie lehrt uns auch, dass Menschheitsgeschichte keine Geschichte des linearen Fortschritts ist. Mitunter waren Gesellschaften hinsichtlich der Toleranz und Vielfalt schon weiter entwickelt, als es die westlichen Gesellschaften heute sind. Die Objekte der Sammlung des Museums für Islamische Kunst werden genutzt, um diese unterrepräsentierte Perspektive zu verdeutlichen. Dabei wird sie aber keinesfalls als allein gültige Wahrheit oder als unumstößlich dargestellt. Sie wird lediglich genutzt, um Reflexionsprozesse anzustoßen und den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich ihre eigenen Gedanken zu machen und selbst die Verbindung zu ihrer Biografie herzustellen. Unser pädagogischer Ansatz setzt Impulse, ohne absolute Ansprüche zu stellen oder explizit eine bestimmte Gegenposition zu dominanten Narrativen zu unterstützen. Trotzdem steigern wir die Fähigkeit der Teilnehmenden, einen kritischen Blick auf ihre Umwelt zu werfen. Wir gehen davon aus, dass die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie die Jugendlichen selbst in der Lage sind, sich ein Bild von der Gesellschaft zu machen, und helfen ihnen einfach dabei, in diesen Prozess einzutreten, am besten mit regelmäßigen Angeboten. Dabei erkennen wir ihren persönlichen Hintergrund und ihre individuelle Konstitution ausdrücklich an und bringen ihnen Wertschätzung entgegen.

In diesem Prozess setzen wir auf erfahrungsorientiertes Lernen und auf die Anleitung zu künstlerisch-kreativer Betätigung. Erfahrungsorientiertes Lernen meint eine Pädagogik, die die Jugendlichen aktiviert und dazu anhält, Inhalte selbst zu erarbeiten – und sich dabei durchaus auch physisch zu bewegen und mit der Umwelt in Interaktion zu treten –, anstatt diese von einer Autorität vermittelt zu bekommen. Die Anleitung zu künstlerisch-kreativer Betätigung verfolgt zwei Ziele: Zum einen ist es wichtiger Bestandteil der Museumspädagogik, selbst kreativ zu werden, um nicht dabei zu verharren die Kreativität anderer zu bewundern. Zum anderen ist die künstlerische Betätigung eine wichtige Selbsterfahrung für alle Menschen, insbesondere für Jugendliche. Sie können so Seiten an sich entdecken, die ihnen bislang unbekannt waren, und sie können Talente entfalten, die sogar ihre Berufswahl prägen können. Es könnten verstärkt Berufsbilder in Betracht gezogen werden, in denen Kreativität gefragt ist und die bislang eine untergeordnete Rolle spielen. Auch unter muslimischen Jugendlichen gibt es solche, die aus sozioökonomisch benachteiligten Familien kommen. Jugendliche aus dieser gesellschaftlichen Schicht haben bislang oft nur wenig von innovativen pädagogischen Angeboten profitiert und damit selten Gelegenheit gehabt, künstlerische Erfahrungen zu sammeln. Dies widerspricht aber dem Bildungsauftrag von Bund und Ländern, wonach alle Deutschen gleichermaßen in den Genuss von öffentlich finanzierten Bildungsangeboten kommen sollen. So betrachtet arbeiten die Kooperationspartner mit diesem Projekt auch an ihrer eigenen Demokratisierung.  

Identitätskonstruktionen

Die Entwicklung der pädagogischen Methoden und des Unterrichtsmaterials erfolgt in zwei Stufen. Auf der ersten Stufe steht die Vermittlung kunsthistorischen Wissens, was schon ein Mehrwert an sich bedeutet. Die Kunstgeschichte ist, wie bereits erwähnt, voll von Umständen, die es sich gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten zu vergegenwärtigen lohnt. Darüber hinaus bieten die Objekte aber auch die Möglichkeit, sich explizit mit den Fragen zu beschäftigen, die viele jugendliche Musliminnen und Muslime momentan umtreiben. Diese Fragen haben laut einer vom Museum durchgeführten Voraberhebung in den meisten Fällen einen Bezug zur Identitätsbildung und tangieren damit einen Themenkomplex, den zu behandeln Fingerspitzengefühl und pädagogisches Know-how erfordert. Jeder Mensch besitzt seine eigene, ganz individuelle Identität, die sich aus verschiedenen Bezugspunkten zusammensetzt, die wiederum häufig aus den Bereichen Religion, Sprache, Kultur, Ethnie und Geografie stammen. In einer sich stark ausdifferenzierenden Welt mit globalen Migrationsbewegungen wird auch die Zusammensetzung von Identitäten immer vielfältiger. Die synkretistische Zusammensetzung von Identitäten wird mit dem Begriff der Hybridität beschrieben.[6] Muslimische Jugendliche, die heute als Postmigranten in Deutschland leben, haben in vielen Fällen am eigenen Leib Ausgrenzungserfahrungen gemacht. Für sie erweist sich die Identifikation mit der deutschen Gesellschaft mitunter als kompliziert. Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen und befinden sich teilweise in einem Generationenkonflikt mit ihren Eltern, die eine andere Verbindung zur Herkunftskultur unterhalten (hier ist im Übrigen nicht immer ausgemacht, welche Gruppe sich enger mit der Herkunftskultur verbunden fühlt). Sie empfinden sich als Teil der deutschen Gesellschaft, bekommen aber stellenweise signalisiert, nicht richtig dazuzugehören. Die mediale Präsenz von islamistischen Extremisten und die Konzentration auf Sicherheitsfragen tun hier ihr Übriges. Eine hybride Identität mag in der Kulturwissenschaft ein Trend sein, in der Realität wird sie häufig noch immer als ein Stigma erfahren. Dabei stellt sie gesellschaftlich gesehen eine Chance dar. Doch wie lange halten gerade junge Menschen Zurückweisung und Abwertung aus, bevor sie sich ihrerseits abwenden? Nicht selten schwingt in der Diskussion mit (Post-)Migrantinnen und Migranten über die aktuelle Flüchtlingssituation in Deutschland eine gewisse Melancholie mit: Wäre das, was jetzt für die neu Ankommenden getan wird, doch damals auch für uns getan worden! Inzwischen leben drei Generationen von Musliminnen und Muslimen in Deutschland, die keine Willkommenskultur kennengelernt haben. Das sind viele vertane Chancen auf ein neues Gemeinschaftsgefühl!

Und wohin wenden sich von der Gesellschaft enttäuschte (Post-)Migrantinnen und Migranten? Der Kontakt zur und die Kenntnis von der Herkunftskultur (der Eltern oder Großeltern) ist begrenzt. Einige finden Halt in der Hinwendung zur Religion. Allerdings scheint das unter diesen Umständen nicht immer eine freie Entscheidung, sondern teilweise auch das Ergebnis von Selbst- und Fremdzuschreibungen zu sein. Wer von seinen Mitmenschen primär als Muslim oder Muslima, nicht aber als Münchner oder Münchnerin, Kölner oder Kölnerin oder Berliner oder Berlinerin angesehen wird, der oder die fügt sich irgendwann und versucht nicht länger, in all seiner oder ihrer vielfältigen Persönlichkeit anerkannt zu werden. Das fehlende Selbstverständnis von Deutschland als Einwanderungsland hat in der Vergangenheit beachtliche Hindernisse für ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen und tut dies auch weiterhin. Diese Hindernisse zu beseitigen, stellt eine langwierige Aufgabe dar und wenn das Kooperationsprojekt des IIT und des Museums für Islamische Kunst dazu einen kleinen Beitrag leisten kann, ist schon viel erreicht. Auch und gerade für jene Menschen ist dieses Kooperationsprojekt gedacht. Sie erhalten durch die Transkulturelle Bildung ein ergänzendes Angebot zu den religiösen Inhalten, die bereits heute in den Gemeinden vermittelt werden. In der Phase der Identitätsfindung werden ihnen somit neben den religiösen auch kulturelle Bezugspunkte zur Auswahl angeboten.

Bemerkenswert ist hierbei, wie positiv diese Ergänzung von den Moscheegemeinden und islamischen Verbänden angenommen wird. Mit dem IIT als Bindeglied findet im Projektverlauf eine beachtliche gegenseitige Öffnung von Gemeinden und Museum statt: Die Gemeinden unterstützen aktiv die Etablierung Transkultureller Bildung in ihren Einrichtungen. Sie schaffen damit in ihren eigenen Häusern Räume für die Vermittlung eines Wissens, das nicht religiös begründet und mitunter doch recht weltlich geordnet ist. Dies zeugt von einer großen Aufgeschlossenheit. Im Gegenzug unternimmt auch das Museum eine echte Verhaltensänderung. In Abkehr von seiner jahrhundertealten wissenschaftlichen Tradition gibt es seine Deutungshoheit auf und tritt mit Gläubigen und ihren Vertretungen in einen offenen Dialog ein. Weitgehend ohne Hierarchie wird eine Diskussionsebene geschaffen, in der akademische Interpretationen und die Interpretationen der Gläubigen gleichwertig sind.  

Das Kooperationsprojekt wird für den Zeitraum von 2015 – 2018 vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert. In einem weiteren Teilbereich des Projekts fördert der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration die Zusammenarbeit mit Berliner Moscheegemeinden.[7]

Geleitet wird das Projekt von Prof. Dr. Bülent Ucar, Prof. Dr. Stefan Weber unter Mitarbeit von Roman Singendonk M.A. und Dr. Jörg Ballnus.

 

* Roman Singendonk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.

[1] Vgl. u.a. Navid Kermani, Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran, Beck, München 1999.

[2] Siehe www.kulturgeschichten.info

[3] Siehe www.facebook.com/MultakaTreffpunktMuseum/

[4] Vgl. Werner Schiffauer, Schule, Moschee, Elternhaus. Eine ethnologische Intervention, Suhrkamp, Berlin 2015.

[5] Vgl. Thomas Bauer, Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams. Inselverlag, Berlin 2011, S. 13.

[6] Der Begriff „Hybridität“ wurde von Homi K. Bhabha als einem der ersten Theoretiker in den postkolonialen Diskurs eingeführt. Hatte er seinerzeit vor allem eine politikwissenschaftliche Bedeutung, so ist er im Verlauf zunehmend auch in den Sozialwissenschaften gebräuchlich geworden. Vgl. Homi K. Bhabha, The Location of Culture, Routledge, London 1994, S. 163.

[7] Siehe www.facebook.com/TamamProjekt/